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Zwischenseminar in Cochabamba

Aktualisiert: 26. März 2022


Selbsterstelltes Wochenprogramm mit Themen, die uns interessiert haben

Vom 17. bis zum 23. Februar hatten wir das von weltwärts vorgeschriebene Zwischenseminar. Dafür sind wir nach Quillacollo - eine Stadt in der Nähe von Cochabamba - gefahren. Dies war ein großes Glück für mich, da Cochabamba ein mögliches Reiseziel für mich gewesen war und ich die Stadt am Montag auf unserem Ausflugstag besichtigen konnte, ohne mir Urlaub nehmen zu müssen.

Wir hatten ein ziemlich volles Programm. Aber es war nur gefüllt mit Themen, die uns interessiert haben. Uns wurde nämlich die Möglichkeit geboten, das Seminar selber zu gestalten und zu planen. Abends haben sich dafür die Teamer:innen und die interessierten Teilnehmenden im offenen Team getroffen. Diese Art, Seminare zu gestalten, war mir total neu, hat mir aber unglaublich gut gefallen.

Ich habe sehr viel aus dem Seminar für die kommende Zeit gelernt und mitgenommen und konnte sehr gut über die vergangene Zeit in Bolivien reflektieren und mir über meine Bedürfnisse bewusst werden.

Eine Sache, die ich aus dem Seminar mitgenommen habe,...

... war, mir wieder darüber bewusst zu werden, dass ich mehr über meine Arbeit im Freiwilligendienst berichten muss. Ich habe mich damit bisher zu sehr zurückgehalten, weil ich mich mit den Bildern schwertue - auf den Bildern sollten keine Kinder zu sehen sein - und wir auf den Vorbereitungsseminaren sehr darauf sensibilisiert wurden, keine Stereotypen abzubilden - zum Beispiel zu zeigen, wie arm die Kinder sind und wie wenig sie haben und so weiter. Schließlich gehöre auch zur Realität, was die Kinder haben und dass sie glücklich sind und eine Kindheit haben, die nicht ausschließlich von der Armut ihrer Eltern beeinflusst ist.

Ich habe mir also vorgenommen, mehr Eindrücke von meiner Arbeit zu teilen, da sonst der Eindruck aufkommen könnte, ich würde mich hier nur vergnügen und reisen.


Meine Mutter hat mir vor einigen Tagen den Artikel Boliviens Silberstadt Potosí - Wie Europa reich wurde von Deutschlandfunk Kultur weitergeleitet. Dort ist mir aufgefallen, wie einseitig über Potosí und Bolivien berichtet wurde. Ich weiß nicht, ob die Leser:innen nach dem Lesen des Artikels denken, Bolivien oder Potosí bestehe ausschließlich aus Wellblechhäusern und unter Armut leidenden Menschen. Ich könnte es mir zumindest vorstellen, da der Artikel nur die Armut Potosís beschreibt und informiert, dass Bolivien "heute das ärmste Land Südamerikas" sei.

Bolivien besteht auch aus Millionenstädten wie La Paz mit Hochhäusern. Hier kann man alles kaufen, was es in europäischen Städten auch gibt und so vieles mehr, was es in Deutschland nicht gibt. Und auch in Potosí gibt es Häuser nach westlichem Standard. Die Schere zwischen arm und reich ist also sehr groß.

Und festzuhalten bleibt auch, dass der äußere Schein - durch westlich geprägte Augen - trügt. Das eindrücklichste Beispiel ist für mich die Wohnung / das Haus meiner Koordinatorin (meiner "Chefin" auf der Arbeit). Ich war dort einmal eingeladen und war überrascht über die "Armut", die das Haus von außen ausstrahlte. Ich war auch durch die Lage (in einer wenig besiedelten Gegend in El Alto) überrascht, da ich dachte, in El Alto wohnen die Armen. Das vierstöckige Backsteingebäude hatte in den ersten drei Etagen keine Fenster und bestand nur aus Betonpfeilern ohne Wände. Erst als ich herausfand, dass die Familie natürlich nicht das gesamte Haus bewohnt, und ich oben im vierten Stockwerk war, sah ich, wie schön die Wohnung eingerichtet war - großer Flachbildschirm vor Eckcouch und Sessel, sehr sauber und ordentlich mit vielen Details wie Bildern oder Skulpturen. Das hat mir schon damals gezeigt, wie schnell ich mir von der ökonomischen Situation der Menschen Vorurteile bilde.

Auf dem Seminar hat der bolivianische Teamer uns auch von den Schuhputzern, mit denen er arbeitet erzählt. Dass einige gar nicht auf der Straße leben, sondern ein Zuhause haben. Dass sie nicht in bitterer Armut leben. Er erzählte von Kindern, die arbeiten, weil zu Hause Gewalt vorherrscht, sodass sie möglichst spät nach Hause kommen wollen. Oder Studierende, die durch das Schuhputzen die Studiengebühren bezahlen können.

Fazit: Es ist schwierig, von Bolivien zu berichten, da ich selbst nicht alles weiß. Gleichzeitig will ich nicht von Bolivien als stereotypisches Drittewelt-Land berichten, weil es sich hier gut leben lässt. Vielleicht denke ich das auch nur, weil ich "zu Besuch" bin und eben nicht alles sehe. Aber ich fühle mich in Bolivien wohl und auch im Alltag immer sicher. In das Land - mit allem, was dazu gehört - kann man sich verlieben und ich habe schon jetzt nach vier Monaten sehr viel mitgenommen.

Ich empfehle es sehr, einen Freiwilligendienst zu machen, weil er Alternativen zum westlichen Leben und zu westlichen Werten vermittelt. Durch diese Erfahrung hinterfrage ich den Sinn dieser westlichen Werte und erhalte die Chance, andere Werte für wertvoller anzusehen und auch nach meiner Rückkehr nach ihnen zu leben.

Und deshalb bin ich sehr froh, dass es das Programm weltwärts gibt, das theoretisch allen jungen Erwachsenen die Möglichkeit eines Freiwilligendienstes gibt - ohne Rücksicht auf die soziale oder ökonomische Stellung dieser. Ich hoffe, das Programm bleibt lange bestehen, was von den Spenden abhängt. Deshalb noch einmal der Aufruf, an das Deutsche Rote Kreuz Freiwerk Nordrhein zu spenden, indem ihr euch an mich wendet (-> s. Kontaktformular). : )


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